Thursday, October 08, 2015

Als Augsburger Studentin in Nancy – erste Reflexionen

Nun kann ich das wunderhübsche Jugendstädtchen Nancy schon seit sechs Wochen meine Heimat nennen. Da diese Zeit für einen ersten Eindruck mehr als ausreicht, möchte ich nun anlässlich der Blogparade „Augsburg bloggt“ ein bisschen als gebürtige Augsburgerin über das Studentenleben in Nancy reflektieren.

Eingang des Campus Lettres et Sciences Humaines
Ganz nach der Redensart „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ also zunächst ein Blick auf die Uni selbst – auf französisch liebevoll fac genannt (eine Abkürzung für faculté = Fakultät) – ich bin ja schließlich entgegen aller Erasmus-Klischees nicht nur zum Party machen hier. *hüstel* Vorweg: Ich gehe wirklich gerne zur Uni, ich gehe in meinem Studienfach voll auf und ich finde an sich auch die Uni Augsburg ein ganz nettes Örtchen zum Studieren: Nicht zu groß, sympathische Dozenten, spannende Kurse usw. – kurzum, ich fühle mich als eine der wenigen gebürtigen Augsburger Studentinnen in meiner Heimat sehr wohl. All diese Faktoren treffen im Grunde auch auf meinen Campus, die Fac de Lettres, in Nancy zu. Seit der Fusion aller möglichen Universitäten im Großraum Nancy-Metz zur Université de Lorraine übersteigt deren Größe die Uni Augsburg zwar um einiges, jedoch sind die verschiedenen ehemals eigenständigen Hochschulen nach wie vor in Nancy und den umliegenden Städten verteilt, sodass die einzelnen Campi definitiv nicht den Eindruck einer Massenuni erwecken. Außerdem wird die gewaltige Anzahl an Studierenden durch die geringe Größe der Stadt wett gemacht (Nancy selbst kann man innerhalb einer dreiviertel Stunde zu Fuß durchqueren), was Nancy nochmal einen ganz eigenen Flair gibt. Augsburg mag sich selbst stolz 'Universitätsstadt' nennen, doch Nancy ist schlichtweg eine Studentenstadt: Mehr als jeder fünfte (!) Einwohner ist Student (zum Vergleich: In Augsburg sind es nur etwa 12%)!
Doch zurück zur Uni. Es mag das französische Unisystem sein, für mich jedoch ein blanker Schock. Als Komparatistikstudent in Augsburg ist man selbst im Bachelor so ziemlich alle Freiheiten gewohnt, die man sich denken kann. Vom ersten Semester an hat man die Möglichkeit, sich die meisten Kurse nach reinem Interesse zu wählen, sie bestehen meist zumindest zum Teil aus spannenden Diskussionen, mit etwas Geschick dehnt sich das Wochenende standardmäßig auf mindestens drei, möglicherweise sogar vier Tage aus und vor zehn Uhr lässt man sich sowieso nicht auf dem Campus sehen. Darüber hinaus sind acht Semester Bachelor in der Komparatistik hier in Augsburg keine Seltenheit und die Worte „Dann schreibe ich die Hausarbeit halt erst nächstes Semester, was soll's?“ haben wohl die meisten schon einmal leichten Mutes propagiert. All das ist in Nancy undenkbar. Exakt drei Jahre Studium, jedes Semester ein fester, einheitlicher Stundenplan für den ganzen Jahrgang (!), kaum jemand älter als 20 in der Licence (=Bachelor), reiner Frontalunterricht, das Wort des Dozenten ist Gesetz und wird akribisch als Fließtext mitgetippt und die „Klasse“ bricht in lautstarkes Gequatsche aus, sobald der prof auf die Frage eines Studenten näher eingeht, was jedoch generell eher selten vorkommt. Nein, wir sind nicht in der Schule, das ist tatsächlich das französische Studium der Lettres modernes :)
Aber, aber, ich will mich wirklich nicht beschweren! Schließlich habe ich hier eine einmalige Chance erhalten und werde aus diesen zwei Semestern in Frankreich mit so wundervollen Menschen aus aller Welt so viel mitnehmen, wie nur möglich! Ich möchte das deutsche Bildungssystem auch definitiv nicht überbewerten, aber das Studium hier in Frankreich ist für unsereins halt schlichtweg eine ganz nette Umstellung: In Deutschland habe ich Selbstständigkeit gelernt, in Frankreich – zumindest in der Uni – muss ich diese wieder zügeln. Merkwürdige Situation. Und die Kurse sind an sich ja wirklich interessant! Seminarthemen wie "Les fictions de l'imaginaire: imaginaire du crime" machen durchaus Lust auf mehr! Deswegen lässt sich auch die Uni hier ein Jahr locker 'ertragen' – vor allem mit den ganzen tollen Nebenerscheinungen, die das Studium in Nancy mit sich bringt!
Blick auf Nancy


Église Saint-Léon de Nancy
Nancy selbst ist nämlich eine wunderschöne Stadt! Viel Geschichte, die es in den alten Gemäuern zu entdecken gibt, ist der Augsburger ja gewohnt (was sie allerdings nicht weniger spannend macht!), doch wenn man nach Feierabend der Omi mit Béret und dem obligatorischen Baguette unter dem Arm hinterher läuft, oder wenn einem von jedem größeren Platz die verspielten Töne der typisch französischen Musette ans Ohr dringen, dann kann man sich nicht bloß in all den französischen Klischees bestätigt sehen, sondern erlebt auch am eigenen Leib dieses einzigartige, entspannende Ambiente. Tatsächlich ist auch der Umgang der Menschen hier sehr herzlich, es wird viel gegrüßt, noch mehr gedankt und grundsätzlich sehr gerne miteinander geredet. Mag sich auch (worin sich die meisten Erasmus-Studenten einig sind) die Kontaktaufnahme zu den einheimischen Studienkollegen als durchaus schwierig erweisen – Deutsche gelten hier als sehr offen und redselig! *verkehrte Welt* –, so ist der erwachsene (als was man die meisten Bachelor-Studenten hier noch nicht bezeichnen kann) Durchschnitts-Nancéien immer für ein Schwätzchen zu haben. Und spätestens, wenn man an einem ruhigen Spätsommerabend gemütlich am Place Stanislas, dem absoluten Stolz und Zentrum der Stadt, sitzt und die prächtige Kulisse auf sich wirken lässt, dann kommt doch ein bisschen Urlaubsfeeling auf. Und es schleicht sich ein gewisser Stolz ein, hier tatsächlich zuhause sein zu dürfen – wenn auch nur für eine recht kurze Zeit.
Musée des Beaux Arts – Place Stanislas

Umgrenzung des Place Stanislas
Drei deutsche Mädels auf dem Place Stanislas
Grüße aus unserer neuen Wahlheimat! :)











Dieser Beitrag ist Teil der ersten Augsburger Blogparade „Augsburg bloggt“. Mehr Infos zum Projekt unter https://ichbinaugsburg.wordpress.com.


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